Wenn Begehren zur Bürde wird

Eine Sexologin klärt auf: 4 Gründe für Pflichtsex in Beziehungen

Intimes Momentaufnahme eines Paares, bedeckt mit einer weißen Bettdecke
© Adobe Stock/ Kaspars Grinvalds
Laut Sexologin Sasha Naydenova gibt es vier Gründe, wieso sich Partner*innen zum Sex verpflichtet fühlen.

Oftmals fühlen sich besonders Frauen für die sexuelle Zufriedenheit ihres Partners oder ihrer Partnerin verantwortlich. Doch woher kommt dieser Gedanke? BILD der FRAU hat mit Sexologin Sasha Naydenova über das Thema Pflichtsex gesprochen. 

Für viele Paare gehört Intimität, einschließlich Sex, wohl zu den Grundpfeilern des gemeinsamen Glücks und eines erfüllten Zusammenseins. Probleme können allerdings entstehen, wenn der Sextrieb und die Libido der Partner*innen unterschiedlich stark ausgeprägt ist oder wenn eine Person das Gefühl hat, für die Lust und Befriedigung des/der Anderen verantwortlich zu sein. Doch wenn Sex zur Pflicht wird, sollte sich etwas ändern.

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Wenn Sex zur Pflicht wird: Gründe für die Verpflichtung in Partnerschaften

Insbesondere viele Frauen fühlen sich verpflichtet, Sex mit ihrem/ihrer Partner*in zu haben, auch wenn sie selbst vielleicht nicht in der Stimmung dafür sind. Doch warum ist das so?

BILD der FRAU hat mit der Sexologin Sasha Naydenova über das Thema Pflichtsex und die Hintergründe gesprochen. Im Interview erzählt die Sexologin mit eigener Praxis in Berlin, woher der Gedanke kommt, für die sexuelle Zufriedenheit des/der Partner*in verantwortlich zu sein.

Sasha Naydenova, ist eine lächelnde Frau mittleren Alters mit schulterlangem, dunklem, welligem Haar. Sie steht vor einem grünen Hintergrund. Sie trägt ein schwarzes Top mit einem drapierten Ausschnitt und darüber eine offene, olivgrüne Jacke. Um den Hals hat sie eine dezente Kette, und ihr freundliches Lächeln drückt Offenheit und Wärme aus. | © René Löffler
Foto: René Löffler
Sasha Naydenova ist ausgebildete Sexologin und bietet in ihrer Praxis in Berlin Sexualtherapie an.

Was genau ist eigentlich Pflichtsex?

BILD der FRAU: Was versteht man unter Pflichtsex?

Sasha Naydenova: Wenn ich Deutschlehrerin wäre, würde ich das Wort Pflicht so erklären: Pflicht, das ist etwas, was man tun "muss". 

Viele kennen vielleicht noch die alten Hausfrauenratgeber aus den 50ern, "Das Handbuch für die gute Ehefrau". Das waren Regeln für die nichtarbeitende, kindererziehende Frau, die ihr Leben der Familie widmet und unterordnet. Ihr Job war es, für die Familie, für die Kinder und für den geldverdienenden Hausherren da zu sein.

Wir lachen heute über die darin enthaltenen Ratschläge: immer bei guter Laune zu sein, den Partner nie mit der Kindererziehung oder Kinderproblemen zu konfrontieren und vieles mehr. Liest man zwischen den Zeilen, würde man wissen: Dazu gehört (ungeschrieben) wie selbstverständlich, immer "Ja" zur Sexualität zu sagen und dabei ebenfalls bei Laune zu sein.

Nun haben sich die Zeiten verändert, die moderne Beziehung zog mit – heutzutage ist Frau selbstbestimmend und souverän, die Partner*innen sind selbst in finanziell ungleichberechtigten Verbindungen bemüht, menschlich auf Augenhöhe zu sein. Das Gefühl jedoch, die sexuellen Bedürfnisse gegenseitig befriedigen zu müssen, ist nach wie vor da, auch wenn sich die Gründe für das "muss" modifiziert haben.

Das "muss" bedeutet – wenn ich etwas nicht tue, hat dieses Nichttun negative Konsequenzen. Die alte/neue Frage bleibt: Welche Konsequenzen hat das sexuelle Nichttun in der heutigen Beziehung?

Wo kommt dieses Gefühl der Verpflichtung her? 4 Beweggründe für Pflichtsex

Wieso haben viele Frauen das Gefühl, für die sexuelle Befriedigung ihres Partners/ ihrer Partnerin verantwortlich zu sein? Woher kommt dieser Gedanke?

Es gibt so viele unterschiedliche Gründe, wie es Menschen und Beziehungen gibt. Anzumerken ist, dass es in der heutigen Zeit immer mehr Partnerschaften gibt, in denen die Frau besser verdient als der Mann, im Gegensatz zu den 1950er-Jahren zum Beispiel. Auch in diesen Beziehungen kann es sein, dass eine emotional stärker involvierte Frau sich zu Vielem verpflichtet fühlt, so auch zum Sex. Da spielen viele Faktoren mit.

Wenn wir den Blick auf die konkreten Beweggründe richten, könnten wir einige davon beleuchten, jedoch bei Weitem nicht die ganze Palette aufzählen. Ich würde hier vier bedeutende nennen:

1. Harmoniebedürfnis

Für viele Menschen steht das Harmoniebedürfnis an erster Stelle. Da wird alles, was an der Harmonie rütteln könnte, undenkbar. Weiß die Partnerin, dass ihr Mann nach einer Abweisung unzufrieden, mürrisch oder sogar schroff wird, wird sie es vermeiden, "Nein" zur Sexualität zu sagen. Sie denkt dabei auch an ihr eigenes Wohlbefinden nach dem 15-minütigen Geschlechtsverkehr, den sie doch "aushalten", "dulden" kann im Hinblick auf die kommenden friedvollen Tage.

Allerdings ist dieser immer wiederkehrender Zyklus: sich zu überwinden, durchzuhalten, danach zu entspannen, nicht sehr gesund für die eigene Psyche und führt auf die Dauer zum Verlust des eigenen seelischen Gleichgewichts, zu Unzufriedenheit und Frust innerhalb der Beziehung.

2. Verlustangst

Ein weiterer wichtiger Faktor, der den Pflichtsex begünstigt, ist die Verlustangst. Was, wenn ER sich den Sex, den ich ihm nicht geben will, woanders "holt"? Was, wenn er sich nach außen verliebt? Was, wenn ich ihn ganz verliere, wenn er mich verlässt?

Die Angst, insbesondere die sich außerhalb des gesunden, selbstschützenden Maßes steigernde Angst, ist ein mächtiger Motor für das menschliche Tun.

3. Unsicheres Selbstwertgefühl

Der Faktor unsicheres (mangelndes) Selbstwertgefühl wird oft sehr unterschätzt. Dieses können sich viele Frauen oft sogar selbst nicht zugestehen, ja nicht einmal erkennen. Verdeckt wird es manchmal sogar durch ein sehr selbstbewusstes Äußere oder Verhalten, sodass Außenstehende nie erraten würden, dass sich dahinter eine unsichere, zerbrechliche, gar schwache Person verbirgt.

Es ist paradox und doch manchmal der Fall, dass attraktive, stark wirkende Frauen, Frauen mit sicherem oder extrovertiertem Verhalten, im Inneren doch auf der Suche nach Bestätigung sind. Komplimente in Form von Blicken, Worten, Anerkennung von Außen befriedigen zwar an der Oberfläche, schaffen aber auch Distanz zu dieser leuchtenden Fassade.

Die Suche nach Bestätigung durch die sexuelle Erregung des Partners greift also tiefer, es geht hier um die Verkürzung der zwischenmenschlichen Distanz. Das Bedürfnis, um jeden Preis sexuell begehrt zu werden, spielt eine besondere Rolle, da es die zwischenmenschliche Nähe betrifft.

4. Liebesbegehren vs. sexuelles Begehren

Nicht unerwähnt bleiben sollte der Aspekt Liebesbegehren vs. sexuelles Begehren. Diese sind sehr individuell und könnten einander ersetzen, ergänzen oder füreinander stehen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Frau in der Beziehung ein Liebesbegehren empfindet, jedoch erkannt hat, dass dieses nur oder vorwiegend mit dem sexuellen Begehren des Partners kompatibel ist.

Es bleibt da nichts anderes übrig, als sich dem sexuellen Begehren des Partners hinzugeben, um das eigene Liebesbegehren zu stillen. Vielleicht ist auch die Erkenntnis da, dass das sexuelle Begehren des Partners stellvertretend für sein Liebesbegehren agiert. In diesem Fall gibt sich die Frau hin, um die Liebe des Partners durch die Sexualität zu spüren und ihrerseits ihm das Gefühl zu geben, dass er geliebt wird. 

Im zweiten Teil des Interviews, welches am kommenden Sonntag, den 5. Mai, erscheint, gibt Sexologin Sasha Naydenova dann Tipps für Betroffene: Wie können sie sich von diesem Pflichtempfinden lösen? Wie können sie ihre eigene Lust wieder mehr in den Fokus rücken und vieles mehr...

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